Iris Andraschek
Thinking on Thresholds
The Politics of Transitive Spaces
Durch den Dialog unterschiedlicher Kontexte in der Gesamtheit des Arrangements, das den Raum, die Objekte wie den Stuhl aus dem Atelier der Künstlerin und die "Aquarien" (seit 1992) sowie Fotografien und Zeichnungen umfassen, werden verschiedene Aspekte der Arbeiten neu interpretierbar. Die Bilder, deren Grenzen definierende Linien, schaffen neue Beziehungen, zwischen dem Selbst und dem Anderen, zwischen dem Vertrauten und dem Fremden.
Die Betrachter_innen findet sich wieder in einem diffusen, schwer fassbaren Bereich, einer Art Schwellenraum. Dieser Komplex ist nicht das Eine und nicht das Andere, sondern siedelt sich in einer Zone der Virtualität an. Gesetztes wird aufgebrochen, aufgeweicht und Bekanntes soweit behandelt, das sich aus diesem sein Unbekanntes herauszuschälen versucht, um dessen Unbewusstes sichtbar zu machen. Ein Raum voll Fiktionalem innerhalb differenzierter Realitäten. Politik wird gedacht als Übereinkunft, als Regelsystem innerhalb unserer Gesellschaft, dessen Gültigkeit unseres Blickes geschuldet ist, der urteilt und dabei trennt oder verbindet. In diesem Bereich, in der das Ergebnis noch ausgehandelt werden will, verorten sich die gezeigten Arbeiten. Iris Andrascheks künstlerische Methode widmet sich mitunter den Grenzen entgegen aller Grenzen, stets eingedenk dessen, dass "alles auch ganz anders sein könnte"[1]. Die Bilder konzentrieren das Transitive, während sie sublim Regelsysteme deutlich zu machen suchen, um sie gleichzeitig in Frage zu stellen.
"30 reasons a girl should call it a night" (2009-2011) behandelt den fragilen Zustand, in dem sich junge Frauen oft befinden, zwischen Selbstkontrolle und dessen Aufgabe. Auch die Bilder der Serien "Where to draw the line" (2013) und "Passion of the Real" (2009-2011) richten den Fokus auf Personen, die als Teil einer Gesellschaft sich ihrer Autonomie bewusst sind und sich wie in "Wait until the night is silent" (2010), "Tell these people who I am" (2011/2012) und "My life, my rules" (2011) für die Realisierung des je eigenen Lebensentwurfs einsetzen und ihre Gärten selbst gestalten wie in den Serien "Gardens / Petras Garden" (2001), "Cement Gardens / Über das Leben in Häusern und Gärten" (2003, gemeinsam mit Hubert Lobnig), "Gardens under the Influence" (2006), "Leben am Hof / Subjektiv Total" (2005, gemeinsam mit Hubert Lobnig). Unsere Handlungsfreiheiten und deren Grenzen werden deutlich, Veränderungen sichtbar und thematisiert ("Träume werden massiv", 2010/2012). Der private, intime und öffentliche, gemeinschaftliche Raum greifen ineinander. Intermedialität kennzeichnet die Arbeiten, die Ortsdynamiken und den darin agierenden Körper in den Mittelpunkt stellen. Die Bilder beschreiben den Umgang mit gesellschaftlichen Utopien. Fotoporträts wie von "Sabrina" (1999), "Claudia" (2001), "Martina J." (2002), "Andrea, Bea, Maria, Piroska, Tünde" (2011) oder den "Franziskanerinnen" (2007) zeigen Frauen in ihrem Alltag, bei der Arbeit und in ihrer Freizeit, die teilweise mit Auszügen aus Gesprächen ihr Leben dokumentieren. Iris Andraschek befragt Menschen und deren Umgebung hinsichtlich ihrer Beziehung zueinander und den Formen des Zusammenlebens.
Der Transformation und dem Ephemeren unterliegen nicht nur die Orte, sondern auch die Fotos selbst, wenn diese in ein anderes Medium übersetzt oder aufgrund der Installation im öffentlichen Raum ("Wohin verschwinden die Grenzen? / Kam mizí hranice?", 2009/2014, gemeinsam mit Hubert Lobnig) Umwelteinflüssen ausgesetzt sind. Es handelt sich um Ereignisse, die "erst durch Kameras und Veröffentlichung"[2] zu diesen werden.
Der dokumentarische Charakter der Fotos, deren visuelle Sprache, befragt immer auch den spezifischen Ort, fordert auf, sich mit diesem auseinanderzusetzen. Durch die Isolation aus dem Kontext werden neue Integrationen möglich, machen dadurch Bedeutungsschichten klar. Das Hybride und Surreale der Realität bezeugt die utopische Dimension.
Räume, ob bewusst inszeniert oder nicht, sind immer an ein Gefühl gebunden, unterliegen einer Dramaturgie. Ob durch das Medium selbst bedingte Grenzen, wie bei der Fotografie oder die Freiheit, die der Künstlerin durch die Zeichnung gegeben ist, werden mitunter Sehnsüchte wie Triebkräfte verhandelt. Dabei werden die Beziehung zum Selbst wie zur Umwelt, unsere Ohnmacht und Macht, der konstruktive wie destruktive "Gemeinschaftsgeist"[3] hinsichtlich eines ökonomischen, sozialen und kulturellen Wandels zum Motiv. Durch die Annäherung, den Dialog und den Diskurs sowie durch das Erzeugen von Narrativen mithilfe von Inszenierungen, Protagonisten und Bühne wird ein Dazwischen erzeugt. Durch das Unvermögen ein delegiertes Ereignis von einem realen zu unterscheiden, wird deren Verzahnung deutlich. Diese Transparenz macht eine endgültige Prüfung unmöglich und stellt unser aller Urteil in Frage. Diese entgrenzten Schwellen betreffen all das, was der Raum zulässt.
[1] Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 1921/1998
[2] Iris Andraschek in einem Gespräch mit Susanne Neuburger im Katalog zur Ausstellung "Where to Draw the Line" im Salzburger Kunstverein, 2013
[3] Barbara Steiner, Being-In-Common, in: "Iris Andraschek. Passion of the Real", Ausstellung "Georg Folian zeigt ..." im Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste Wien, 2012
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©  2014 09 16